Betrug ist heute das Geschäft von Banden, die grenzüberschreitend agieren. Dieses Geschäft das mehr als eine Billion US-Dollar wert ist, stiehlt nicht nur Geld – es zerstört Leben. Im ersten Teil unserer Betrugsserie beleuchten wir, wer hinter den am schnellsten wachsenden Betrugsmodellen steht, wo sich die sogenannten „Scam Compounds“ befinden und was Finanzorganisationen über ihre Gegner wissen müssen.
Über Jahrzehnte wurde in den Medien ein Bild von Betrügern als Einzelgänger entwickelt, die in dunklen Räumen über Laptops gebeugt sitzen. Dieses Bild ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich veraltet. Die heute schädlichsten Betrugsmaschen werden von globalen kriminellen Syndikaten organisiert, die auf jedem Kontinent aktiv sind. Diese Organisationen betreiben riesige Netzwerke, handeln mit Menschen, schulen „Mitarbeiter“ und funktionieren im Grunde genommen wie Unternehmen aus der Fortune-100-Liste, auch wenn ihr Produkt Betrug ist und die Opfer dafür bezahlen müssen.
Das Ausmaß ist enorm: Der weltweite Betrug belief sich 2024 auf über eine Billion US-Dollar. Die Zahlen erzählen jedoch nur einen Teil der Geschichte. Die am schnellsten wachsenden Betrugsmodelle sind heute App-basierte und Social-Engineering-Scams – und sie sind auch die häufigsten Betrugsarten, die Banken und Finanzinstitute treffen. Die Folge: Rekordverluste durch Erstattungen und steigende Compliance-Kosten.
Diese Angriffe zielen nicht nur auf Systeme, sondern nutzen gezielt Menschen aus, untergraben das Vertrauen in Finanzinstitute, Regulierungsbehörden und Gerichte und unterstützen zugleich Menschenhandel und Zwangsarbeit. Hinter jedem gefälschten Investmentangebot oder Liebesbetrug steckt eine dunkle Realität: Komplexe, in denen Menschen gefangen gehalten und gezwungen werden, weltweit Fremde zu betrügen.
Globale Scam-Zentren: Wo sie zu finden sind
Die meisten Menschen stellen sich kriminelle Banden als Schattenfiguren vor, die aus Dschungeln oder abgelegenen Verstecken agieren. Doch die Drahtzieher der größten Betrugsringe arbeiten ganz anders. Es handelt sich nicht um kleine, im Verborgenen laufende Operationen, sondern um Unternehmen im industriellen Maßstab, die offen agieren.
Ihre Struktur ähnelt der legitimer Unternehmen: Führungskräfte überwachen die Abläufe, mittlere Manager coachen Mitarbeitende und verfolgen KPIs, während die Frontline-Mitarbeiter Betrugsmaschen per Telefon, Social Media oder Messenger-Apps umsetzen.
Ihre Einrichtungen sind keine versteckten Keller. Es sind große, speziell umgebaute Standorte – oft ehemalige Hotels, Casinos oder Gewerbeparks. Hauptsächlich in Südostasien – Kambodscha, Myanmar, Vietnam und den Philippinen – aber zunehmend auch in Afrika und Osteuropa. Diese Komplexe können riesig sein. Ermittler haben große Anlagen aufgedeckt, in denen Hunderte Menschen in Schichten rund um die Uhr arbeiten. Manche Standorte sind so groß, dass sie als „Dörfer“ bezeichnet werden, mit Syndikaten, die oft mehrere Standorte in einer Region betreiben. Im großen Maßstab kann ein einziges Netzwerk Tausende Menschen kontrollieren.
Doch nicht alle, die für die Syndikate vor Ort arbeiten, sind freiwillig dort. Tatsächlich sind die meisten Frontline-Mitarbeiter und Callcenter-Agenten Opfer von Menschenhandel. Sie werden mit dem Versprechen auf hohe Einkommen und einen Ausweg aus der Armut gelockt, reisen über Grenzen und finden sich dann entführt, gefangen und gezwungen, andere zu betrügen.
Das Leben in Scam-Compounds: Ein Gefängnis als Büro getarnt
Die Struktur vor Ort ist darauf ausgelegt, eine unfreiwillig gefangene Belegschaft zu versorgen. Es gibt Schlafsäle, Shops, Freizeiträume, Küchen und sogar kleine Kliniken. Auf den ersten Blick wirken diese Einrichtungen wie Mitarbeiter-Benefits, und für gefährdete Rekrutierte aus armen Verhältnissen können sie sogar attraktiv erscheinen. Doch die Realität ist düster: Reihen von Schreibtischen, Schlafräume voller Betten, Überwachungskameras in jeder Ecke, Küchen für Hunderte. Mit Stacheldrahtzäunen und bewaffneten Wachen am Eingang ähneln diese Komplexe eher Gefängnissen als Büros – und in vielerlei Hinsicht sind sie genau das.
Die „Masterminds“ des kriminellen Ökosystems
Hinter den Komplexen steht ein Netz internationaler Betreiber und eine Schattenwirtschaft von Dienstleistern. Die Organisatoren treten in vielen Formen auf – von kriminellen Unternehmern, die vom Drogenhandel auf Online-Betrug umsteigen, über Netzwerke mit regionalen Gruppen wie südostasiatischen Gangs, chinesischen oder osteuropäischen Syndikaten bis hin zu illegalen Akteuren mit Verbindungen zu südamerikanischen Kartellen. In manchen Regionen profitieren politisch vernetzte Akteure oder lokale Eliten von diesen Operationen – und schützen sie sogar, sodass sie mit wenig Störung weiterlaufen.
Eine weitere Ebene bilden Unternehmen, die auf dem Papier legitim wirken, tatsächlich aber die Infrastruktur bereitstellen, die die Betrugsindustrie am Laufen hält: Telefonnummern, gefälschte Ausweisdokumente, Briefkastenfirmen und Zahlungsdienstleister, die risikoreiche Transaktionen abwickeln. Ermittlungen zeigen wie Untergrund-Dienstleister und Proxy-Konten Betrügern helfen, das Geld der Opfer über Banken und in Krypto zu schleusen – mit gefälschten Rechnungen und Tarnfirmen als Deckmantel.
Es ist ein Geschäftsmodell im industriellen Maßstab: Die Anwerbung basiert auf Fake-Anzeigen, Callcenter mit Skripten und eine Geldwäsche-Pipeline aus Geldkurieren, Briefkastenfirmen und Krypto-Gateways. Das System ist bemerkenswert widerstandsfähig – wird ein Zentrum oder Zahlungsweg geschlossen, leitet das Netzwerk einfach über einen anderen Anbieter oder in andere Länder um.
Wie Betrug Banken und Finanzunternehmen schadet
Für Banken und Finanzunternehmen sind die Auswirkungen gravierend. Die direkten finanziellen Verluste und Kosten steigen deutlich. Banken, Fintechs und Kreditgenossenschaften berichten von erheblichen Betrugsverlusten: Fast 60 % der befragten Unternehmen haben in einem Zeitraum von 12 Monaten mehr als 500.000 US-Dollar durch Betrug verloren, ein großer Anteil sogar über 1 Million US-Dollar. Diese Entwicklungen zwingen Unternehmen, Budgets von Wachstum auf Verlustprävention und Schadensbegrenzung umzuschichten.
Zahlungsbetrug im großen Stil erhöht auch die operativen und regulatorischen Kosten. 2022 wurden im Europäischen Wirtschaftsraum Zahlungsausfälle durch Betrug in Höhe von 4,3 Milliarden Euro gemeldet, und die von Verbrauchern gemeldeten Verluste in anderen Regionen zeigen jährliche Auswirkungen in Milliardenhöhe – mit steigender Tendenz. Das führt zu stark ansteigenden Verdachtsmeldungen (SAR), Ermittlungen zur Geldwäsche-Bekämpfung (AML / GwG) und aufwändigen Streit- und Erstattungsprozessen für Banken. Die Kosten sind sowohl direkt (erstattete Verluste) als auch indirekt (Ermittlungszeit, Compliance-Personal, Bußgelder, Kundenabwanderung und Reputationsschäden).
Banken stehen täglich vor einem Balanceakt: Kontrollen verschärfen und Kunden frustrieren – oder lockern und zur Zielscheibe werden. Aufsichtsbehörden verlangen in jedem Fall immer strengere Schutzmaßnahmen. Und auch wenn stärkere Authentifizierungen und Prüfungen zu mehr Abbrüchen beim Onboarding oder bei Transaktionen führen können, drohen bei Nichtbeachtung rechtliche und regulatorische Risiken (aktuelle Fälle im Zahlungsverkehr zeigen, wie Banken bei unzureichenden Kontrollen hohe Schadensersatzforderungen und Klagen riskieren).
Die langfristigen Folgen gehen jedoch über die operative Komplexität hinaus. Betrug untergräbt das Vertrauen der Kunden – das Fundament der Finanzbranche. Betrug erhöht die Kosten, bremst Innovationen und zwingt Finanzinstitute dazu, Produkte mit Einschränkungen zu gestalten, die Kunden spüren, aber selten verstehen. Das kann zu dauerhaftem Marktanteilsverlust führen.
Was Finanzinstitute über ihren Gegner wissen müssen
Banken kämpfen nicht gegen einzelne Täter. Sie stehen kriminellen, industrialisierten Organisationen gegenüber. Um diese zu besiegen, müssen auch die Abwehrmaßnahmen entsprechend organisiert sein.
Das bedeutet: Weg von isolierten Kontrollen hin zu systemischer Resilienz – robuste Betrugsprüfungen, stärkere Identitätsverifikation, kontinuierliches Monitoring, orchestrierte Transaktionen und schnelle Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden. Aber Technologie allein reicht nicht aus. Zusammenarbeit zwischen Institutionen und Branchen ist entscheidend, um global agierende Betrugsnetzwerke zu stören.
Wie sich die Branche gegen Finanzkriminalität schützen kann
Finanzunternehmen sollten in mehrschichtige Identitätsprüfungen investieren, die Dokumentenprüfung, Lebenderkennung und Verhaltensauffälligkeiten kombinieren (wie die Lösungen von IDnow); Geldwäsche-Checks integrieren, um Money Mules frühzeitig zu erkennen (wie die kommende IDnow Trust Platform); und sich an Netzwerken zum Austausch von Erkenntnissen beteiligen, die Muster über Grenzen hinweg verbinden.
Betrug ist längst kein Randphänomen mehr. Es ist eine milliardenschwere Unternehmensmaschine. Um sie zu zerschlagen, müssen Finanzinstitute vom nachträglichen Aufklären zur proaktiven Prävention übergehen – und sowohl Kriminelle als auch manipulierte Opfer stoppen, bevor ein Schaden entsteht.
Von

Nikita Rybová
Customer & Product Marketing Manager bei IDnow
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